EASYGOING INTO SPACE [1]

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[ Fri. Jun. 25. 2010 ]

Vier naturwissenschaftliche Bücher erklären ganz einfach, wie das Leben funktioniert

Kinder sind die geborenen Naturwissenschaftler. Sie sind neugierig. Sie stellen Fragen. Sie wollen wissen, wie die Dinge funktionieren, und warum die Dinge so sind und nicht anders. Sie gehen lieber in den Zoo als in eine Kunstausstellung. Aber irgendwann - genauer: in der Pubertät - geht das meistens verloren. Wer sich noch für die Naturwissenschaften interessiert, wird zum pickeligen Nerd; die anderen werden coole Teenies. Im Kampf der Kulturen haben die Geisteswissenschaften immer die Oberhand, wenn es um Distinktionsgewinn geht. Man gewinnt keinen Blumentopf, wenn man weiß, wie das Internet funktioniert, aber man kann viel Geld mit einem Buch verdienen, in dem man dessen schädliche Auswirkungen auf die eigene Konzentrationsfähigkeit beschreibt. Wissenschaftsskepsis ist hip, wissenschaftliche Kenntnisse dabei störend. Wo sind all die neugierigen Kinder geblieben?

Vermutlich sind sie zunächst durch die Schule abgeschreckt worden. Durch einen Unterricht, der alles tut, um die Neugier zu bestrafen, indem er auf die Grundfrage, was die Welt zusammenhält und wie alles miteinander zusammenhängt, keine Antworten gibt, sondern das Wissen in voneinander abgeschottete Fächer aufteilt. Wie dem auch sei: Wenn Sie sich beim Rückblick auf Ihren Schulunterricht allenfalls an einen Geruch von Schwefelwasserstoff und eine Kreidetafel voller Formeln erinnern, ist Natalie Angiers "Naturwissenschaft" das richtige Buch für Sie.

Im englischen Original heißt es herausfordernd: "The Canon" und verspricht eine Tour durch die "wunderschönen Grundlagen der Naturwissenschaften". Im Deutschen Untertitel hat sich ein Imperativ eingeschlichen: "Was man wissen muss, um die Welt zu verstehen". Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Angier ist Wissenschaftsjournalistin bei der "New York Times" und beherrscht die angelsächsische Kunst, komplizierte Dinge einfach zu erklären. Das Buch ist garantiert formelfrei - denn für Angier ist die Mathematik "eine Sprache, nicht die Sprache, und ihre Symbole lassen sich in anderen Idiomen erklären, einschließlich der schönen Sprache, die Klartext heißt".

Anders als der Schulunterricht, der oft beim vermeintlich Konkreten beginnt und sich dann schnell im Abstrakten verliert, arbeitet sich Angier vom vermeintlich Abstrakten zum Konkreten vor. Sie beginnt mit einem brillanten Essay über das naturwissenschaftliche Denken, erklärt dann die Konzepte von Wahrscheinlichkeiten und Größenordnungen, um dann ihre Tour durch die Naturwissenschaften mit der Atomphysik zu beginnen. Tatsächlich wird es auf dieser Grundlage einfacher, die folgenden Kapitel über Chemie, Evolutionsbiologie, Molekularbiologie, Geologie und Astronomie zu begreifen. Es wäre zumindest einen Versuch wert, den Schulunterricht ebenfalls so umzustellen. Zumindest aber müsste man Angiers Buch zur Pflichtlektüre für Lehrer erklären - nicht nur für solche, die Naturwissenschaften unterrichten.

In Deutschland ist Stefan Klein möglicherweise der einzige Wissenschaftsautor, der es mit den großen angelsächsischen Vorbildern aufnehmen kann. Der Titel seines neuen Buchs, "Wir alle sind Sternenstaub", ist wohl eine Reverenz an seinen großen Vorläufer, den Wissenschaftspopularisator Hoimar von Ditfurth, dessen erstes großes Werk "Kinder des Weltalls" hieß. Und tatsächlich ist jedes Atom unseres Körpers irgendwann im Zentrum eines Sterns entstanden, wie der britische Hofastronom Martin Rees im Gespräch mit Klein erläutert, um dann hinzuzufügen: "Wenn Sie weniger romantisch veranlagt sind, können Sie die Menschen auch als stellaren Atommüll bezeichnen."

Im Auftrag des "Zeit-Magazins" führte Klein in aller Welt Gespräche mit einigen der führenden Wissenschaftler der Welt - übrigens nicht nur mit Naturwissenschaftlern wie Martin Rees oder der rumäniendeutschen Neurobiologin Hannah Monyer, sondern auch mit dem Schweizer Ökonomen Ernst Feher oder dem spekulativen Zivilisationstheoretiker Jared Diamond in Los Angeles. Er sprach mit ihnen nicht nur über die Resultate ihrer Forschung, sondern - buchstäblich - über Gott und die Welt. So antwortet der bekennende Anglikaner und Kirchgänger Rees auf die Frage, ob er an das glaube, was in der Kirche gepredigt wird: "Nein. Ich weiß doch, dass wir nicht einmal das Wasserstoffatom verstehen - wie könnte ich da an Dogmen glauben? Ich bin ein praktizierender, aber kein gläubiger Christ." Kleins Buch enthält viele solcher erhellender Momente - es ist das reinste Lesevergnügen und wie Angiers "Kanon" eine Verführung zum naturwissenschaftlichen Denken.

Wenn es einen Mann gibt, der mehr als alle anderen getan hat, um die Naturwissenschaften trotz der uns eingebauten feuilletonistischen Präferenz zu popularisieren, dann ist es der Literaturagent John Brockman, in dessen Autorenstall sich solche Stars finden wie der bereits erwähnte Jared Diamond oder das enfant terrible der Evolutionsbiologie und Religionskritiker Richard Dawkins. Jedes Jahr stellt Brockmann in seiner Internetzeitschrift "The Edge" eine Frage, die von Brockmans beängstigend weitgespanntem Netz korrespondierender Wissenschaftler beantwortet wird. 2005 etwa hieß die Frage: "Was halten Sie für wahr, ohne es beweisen zu können?" 2006 lautete sie: "Was ist Ihre gefährlichste Idee?" Der Fischer Taschenbuch Verlag hat es verdienstvollerweise unternommen, die im Internet auf Englisch erschienenen Antworten Jahr für Jahr ins Deutsche zu übersetzen. Perfekte Schmöker für einen kurzen Flug - nach einer Stunde fühlt man sich aufs angenehmste angeregt und klüger als seine Mitpassagiere.

Brockmans Sohn Max ist in die Fußstapfen (und die Firma) seines Vaters getreten und versammelt in "Die Zukunftsmacher" Essays von 18 jungen Wissenschaftlern über ihr Forschungsgebiet - es geht unter anderem um das Multiversum, die dunkle Energie, Spiegelneuronen und die Evolution der Moral, die Fantasie, die Ausbreitung guter Gedanken und das Verhältnis vom naturwissenschaftlichen Denken zur Realität - womit wir wieder bei Angiers Ausgangspunkt wären. Man muss also kein pickeliger Nerd sein, um sich für Naturwissenschaften zu begeistern. Es reicht, einige dieser Bücher zu lesen, um wieder zum Kind zu werden.

Natalie Angier: Naturwissenschaft. C. Bertelsmann, München. 382 S., 22,95 Euro.

Stefan Klein: Wir alle sind Sternenstaub. S. Fischer, Frankfurt/M. 269 S., 8,95 Euro.

John Brockman (Hg.): Das Wissen von morgen. S. Fischer. 287 S., 9,95 Euro.

Max Brockman (Hg.): Die Zukunfstmacher. S. Fischer, Frankfurt/M. 270 S., 19,95 Euro.

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